Am Sonntag steht für die 60 besten Schwinger des Landes mit dem Kilchberger Schwinget das Jahres-Highlight auf dem Programm. Doch Kilian Wenger, 24, kann nicht antreten. Der Grund: ein leichter Bandscheibenvorfall und eine Entzündung des ISG-Gelenks. Die Rückenprobleme seien bereits vor einer Woche aufgetreten - am Freitag suchte er einen Arzt auf. Wie Blick.ch schreibt, habe sich der 24-Jährige fitspritzen lassen wollen, was allerdings nicht funktionierte. Die Schmerzen sind immer noch da. «In diesem Zustand ergibt eine Teilnahme am Kilchberg-Schwinget keinen Sinn», erklärt der Schwingerkönig von 2010.
Was glaubt er denn, wer gewinnen wird am Sonntag? «Der Mättu ist einer, den du im Moment nur schwer bezwingen kannst. Es passt alles bei ihm. Die Routine, das Alter, die Physis, die Vielseitigkeit. Er kämpft sehr weitsichtig und ist explosiv. Er kann während eines Ganges auch reagieren und etwas umstellen, wenn er muss», meint er gegenüber «SI Sport».
Das Medieninteresse an Wenger ist etwas weniger geworden, seit sein Berner Kollege Sempach in Burgdorf gewonnen hat. Hier ein Interview für eine Regionalzeitung, dort ein paar Worte für ein Radio. Er ist immer noch gefragt, aber er wird nicht mehr erdrückt. Eine grosse Nummer bleibt Wenger dennoch. Gerade im Berner Oberland. Die Anfragen, dass er an Geburtstagen oder Hochzeiten vorbeischaut oder Videogrüsse übermittelt, wildfremden Menschen alles Gute für den Lebensweg wünscht, kommen immer noch. Aber da muss er eine Linie ziehen.
Schwinger und Körperkult - das liegt so weit auseinander wie ein Treichelumzug und die Street Parade. Wobei sich Schwinger natürlich längst nicht mehr nur mit mächtigen Traktoren, Lastwagen, Käsekesseln, Kälbern, Rindern oder auch halben Rindern (bei Metzgern ist das nur konsequent) inszenieren. Sondern auch mal als Easy Rider auf einer schweren Maschine, als DJ, tätowiert und statt mit dem Hofhund mit der eigenen Python. Nicht alle Klischees haben die Jahrzehnte überdauert. Schwinger zeigen, was sie haben. Wenngleich nicht so exaltiert und bisweilen selbstverliebt wie gewisse Fussballer. Und den durchtrainierten Körper ins beste Licht zu rücken ist noch immer keine Selbstverständlichkeit. Auch nicht für Kilian Wenger.
Und nicht einmal im Fitnesscenter S4Sports in Wilderswil, wo er als Teilhaber ein Heimspiel hat. Trotzdem hält er geduldig eine Langhantel über seinen Schultern. Im Raum nebenan mühen sich die Freizeitsportler im riesigen Gerätepark ab. «Von November bis März bin ich viermal pro Woche an den Gewichten, während der Saison überwiegt dann das normale Schwingtraining», sagt Wenger. Dass er vom breiten Nacken bis zu den Beinen viel investiert, ist offensichtlich. Stolz ist er deswegen nicht sonderlich. Zumindest ergötzt er sich nicht wie ein Bodybuilder vor dem Spiegel. Die Muskeln sind für den 1,90 m grossen, 107 Kilogramm schweren Wenger ganz einfach Mittel zum Zweck. Die bis zu 150 Kilo schweren Gegner lassen sich nicht nur mit Technik, Taktik und Ausdauer auf den Buckel werfen.
Wenn ich nicht im Training bin, dann nehme ich vier bis fünf Kilo ab
Für seine Athletik bringt er auch Opfer. «Wenn ich zum Grillabend eingeladen bin, verzichte ich grösstenteils nicht nur auf den Alkohol, sondern beispielsweise auch auf die Pommes frites oder andere fettige Sachen. Ich würde die Kohlehydrate zwar verbrennen, aber es geht auch um die grundsätzliche Einstellung zum Sport. Und da mache ich keine Konzessionen.»
Der Wandel hin zur Professionalität hat bei den Schwingern längst auch die Ernährung erfasst. Vor einem Wettkampf isst der König von 2010 gesunde Mischkost, ab Donnerstag jeweils viel Getreide mit Stärke, Kartoffeln. Der Kohlehydratspeicher muss gefüllt werden. Auch mit Kohlehydrat-Shakes. Für den Laien absurd, aber letztlich nur logisch ist die Wirkung der Wenger’schen Vollfett-Diät Ende Saison. «Wenn ich nicht im Training bin, dann nehme ich vier bis fünf Kilo ab. Auch wenn ich mir dann beim Essen und Trinken viel mehr gönne. Im Herbst geniesse ich es. Die Muskelmasse nimmt in dieser Zeit ab, daher auch das Gewicht. Im November habe ich das dann aber schnell wieder im Griff, wenn ich Gas gebe.» Dass längst nicht alle Schwinger Modellathleten sind, spreche nicht gegen den Sport. «An der Spitze trainieren alle professionell. Nur ist jeder körperlich anders veranlagt. Da spielen die Gene eine grosse Rolle. Eigentlich braucht kaum einer ein Sixpack, um gut schwingen zu können.»