Erst war es das Klima, dann Corona. Krisen lehren uns, Dinge zu hinterfragen, sie neu zu denken, uns anzupassen. Und so hing ein grosses Fragezeichen wie ein durchdesigntes Damoklesschwert über den hübschen Häuptern der Branche: Fashion Shows vor internationalem, sehr exklusivem Publikum – ist das ein Konzept, das Zukunft hat? Muss man heutzutage wirklich Tausende von Menschen kreuz und quer über den Erdball fliegen, um den luxuriösesten Modehäusern dabei zuzusehen, wie sich selbst und ihre Konkurrenten mit jedem Spektakel an Extravaganz übertreffen? Das ist verschwenderisch, das ist ökologisch gesehen inakzeptabel. Was ist nun wichtiger: die Inszenierung der Mode oder die Mode selbst? Und dann kam der corona-geschwängerte September – der Fashion Month.
New York, London, Mailand, Paris. Die Modeschauen fanden statt, die Kollektionen für den kommenden Sommer wurden präsentiert. Brands wie Chanel, Fendi, Etro und Louis Vuitton machten es wie immer – luden ein und schoben die Stühle auseinander. Aber es ging auch anders.
Exklusion: The Show must go on – ohne Publikum
Wie bleibt eine Kollektion in Erinnerung – ohne dass man sie an sich vorbeirauschen sieht, ohne dass man eine grosse Bühne baut, ohne dass die Elite des Businesses vor Showbeginn posiert und live postet? Man muss kreativ werden. Moschino schickte Marionetten über den Runway, daneben sassen Stammgäste wie Anna Wintour und Anna dello Russo – aus Holz, versteht sich. Die Originale bestaunten das Theater zu Hause vor dem Bildschirm. Statt Videos und Livestreams spielte JW Anderson im Lookbook für Frühling/Sommer 2021 mit Anziehpuppen, während die Däninnen von Saks Potts unscharfe Paparazzi-Bilder lieferten. Mit einem genervten Model, dessen Looks vermeintlich unfreiwillig von Paparazzi geleakt wurden. Bitteschön.
Inklusion: Das phygitale, erlesene Publikum bei Miu Miu
Die Celebrities waren da. Aber irgendwie auch nicht. Berühmte Frauen wie Dakota Fanning, Suki Waterhouse, Chloé Sevigny und Milla Jovovich blickten auf eine futuristisch anmutende, leere Sportarena herab. Von zu Hause aus, auf riesigen Bildschirmen an den Wänden. Unter ihnen defilierten die Miu-Miu-Models, angeführt von Newcomerin Lila Grace, der 18-jährigen Tochter von Supermodel Kate Moss. Die Show war da, mit ohne Gäste. Grosses Kino, schöner Hybrid.
Diversität statt Exklusivität: Models ohne (Standard-)Mass
Obwohl in der Hauptstadt Frankreichs die Corona-Zahlen steigen, fanden Shows vor echtem Publikum statt. Auch Chanel liess sich die grosse Bühne nicht nehmen und fuhr ein Hollywood-Sign-ähnliches Firmenlogo auf. Die Szenerie ganz in Weiss, mit viel Prominenz und Standard-Models. Bis auf die Holländerin Jill Kortleve, die bereits zum zweiten Mal für Chanel lief. Man kann applaudieren, dass da eine nicht in die Sample Sizes passt. Aber letzten Endes ist es eben doch nur eine. Bei Versace in Mailand waren es dieses Mal sogar drei. Alva Claire, Precious Lee und besagte Jill Kortleve durften als erste Plus-Size-Models für Donatella über den Laufsteg spazieren. Nun gut, die grossen Modehäuser verstehen langsam, was für Popstar Rihanna und ihren Lingerie-Brand Savage X Fenty selbstverständlich ist: Schönheit kennt weder eine bestimmte Form noch Farbe.
Was war euer ganz persönliches Highlight des Fashion-Monats?