Nach einem Umweg über die Hamburger Elbphilarmonie und den ägyptischen Flügel des Metropolitan Museum of Modern Art in New York besann sich Chanel auf seine Wurzeln und landete sanft im Pariser Grand Palais. Eine grosse Spiegeltreppe schwang sich zum Laufsteg hinab, glitzernde Kristall-Lüster thronten über den Köpfen der Gäste: Wer diesen Mittwoch in der Métiers d’Art Show sass, hockte quasi bei Coco Chanel persönlich im Wohnzimmer. Die Kulisse, die zusammen mit Sofia Coppola entworfen worden war, war Coco Chanels privatem Pariser Apartment nachempfunden. So raschelten die luxuriösesten, in stundenlanger Arbeit von Hand bestickten Stoffe vor den ikonischen Stufen entlang und glitzerten mit dem funkelnden Glas um die Wette. Hätte Coco auf ihrer Treppe gestanden – hätte sie gemocht, was sie sah? Da waren gegürtete Oversize Blazer, coole Anzüge, sexy Kleider. Man spürte manchmal ein bisschen Rock'n'Roll, ab und an einen Hauch Boho. Eine neue Generation an Fans zeichnet sich am Horizont ab.
Die Show war eine Huldigung an die Handwerkskunst des Ateliers und zugleich die erste Métiers d’Art Kollektion von Virginie Viard nach Karl Lagerfelds Tod im Februar. Während sich die neue Kreativdirektorin mit ihren Entwürfen eng an Coco Chanels Codes hielt, befreite sie sich doch von Karls sehr architektonischer Art zu schneidern. Wir sahen Tweed, jede Menge Perlen und Kamelien, tonnenweise Ketten-Layering und Kastenjacken, aber da war auch eine weichere Herangehensweise an das grosse, schwere Erbe spürbar. Die Tweed-Zweiteiler waren in ultraviolette Farbverläufe getaucht, die Blazer schärften das Bewusstsein von Power Dressing, fliessende Satinkleider machten griechische Göttinnen neidisch, kurze Lammfelljacken zu Goldvolants Lust auf glamouröse Abenteuer. Kamelien und das Doppel-C bekamen an Basic-Shirt und Minirock einen Frischekick.
Quo vadis, Chanel?
Man kann sich viele Frauen in diesen Kleidern vorstellen. Da ist der gute alte Chanel-Fan – betuchte Damen einerseits und label-gierige junge Mädchen andererseits, die alles lieben, solange das Logo darauf prangt. Aber auch für die avantgardistische Intellektuelle, die Céline nachtrauert und nun Bottega Veneta und Givenchy verehrt, könnte Chanel jetzt eine Option sein. Virginie Viard bläst den Staub vom Doppel-C und öffnet ihre Arme. Während die typische Chanel-Kundin aus dem Store trippelt, geht die neue jetzt auf dem klassischen Parkett bestimmten Schrittes in eine aufregende, beschwingte Zukunft. Und reckt ihre frisch geschneiderten Power Shoulders.