Nach seinen grossartigen Leistungen im Turnier mutet in Wimbledon alles ein bisschen so an, wie es immer war: Roger Federer kam, Roger Federer lieferte, Roger Federer siegte. Am Mittwochnachmittag nun kämpft er in seinem 18. Wimbledon-Viertelfinale gegen den Polen Hubert Hurakcz um den Einzug in die nächste Runde.
Und doch ist dieses Jahr alles ein bisschen anders, als es auf den ersten Blick scheint. Zum einen kehrte der 39-Jährige erst auf diese Saison hin nach zwei Knie-Operationen auf den Court zurück. Zum anderen stecken die Spieler während der Tour noch immer in ihrer Blase fest. Das hat für alle grosse Auswirkungen, für den Maestro aber sind sie gleich fünffach schlimm: Er muss in Wimbledon auf Ehefrau Mirka, 43, sowie die Zwillinge Myla und Charlene, 11, und Leo und Lenny, 7, verzichten.
In einem Interview mit «Tennis Channel» hat der Baselbieter nun offen darüber gesprochen, wie schwer ihm das Fehlen seiner Familie fällt. «Es fühlt sich schrecklich an, sie nicht dabei zu haben», sagte er. «Ich bin nicht mit ihnen zusammen – das allein ist nicht gut.»
Zwar nutzen die Federers die technischen Möglichkeiten, um sich auch an unterschiedlichen Orten auf der Welt miteinander auszutauschen. «Ich telefoniere drei Mal täglich mit ihnen und kläre mit Mirka ab, ob zuhause alles okay ist», erzählt Roger. Und er könne «sich nicht beklagen». «Mirka ist toll. Sie hält mir immer den Rücken frei, ist eine sehr starke Frau – sie ist die Beste!» Es sei von diesem Standpunkt aus betrachtet alles in Ordnung. «Aber es macht einfach keinen Spass, sie nicht hier zu haben.»
Statt sich mit Sightseeing und Familienzeit zu erholen, beschäftigt Roger an freien Tagen deshalb momentan primär eines: Langeweile. «Ich mache eine Tour durch die Lobby und gehe dann wieder auf mein Hotelzimmer. Und das ist der aufregendste Teil des Tages», erzählt er etwas geknickt.
Ist seine Familie unter normalen Umständen an seinen Turnieren mit von der Partie, sehen die Tage des Kings etwas anders aus. Seine vier Kinder halten ihn mächtig auf Trab. Den Stopp in Indian Wells etwa haben sie bereits mehrfach genutzt, um sich als Marktverkäufer zu versuchen. Und auch das Spiel ihres Vaters prägen sie mit: Es kann schon mal sein, dass sie ihn zur Rede stellen, wenn er nicht seine beste Leistung abrufen konnte. «Manchmal fragen sie mich ohne Filter: ‹Aber, Papa, warum hast du verloren? Das war nichts!› oder ‹War er wirklich so stark, der Andere? Das nächste Mal musst du ihn schlagen!›», plauderte Roger bei «Paris Match» aus.
Federers Kids aber kritisieren nicht nur, sie liefern auch gleich Verbesserungsvorschläge. «Sie geben mir schon Tipps», erzählte der stolze Papa bei einem Platzinterview an den Australian Open 2016. «Und sie sind gute Coaches.»
Manchmal ist davon allerdings während der Spiele ihres Vaters nicht viel zu sehen – wenn die Kids etwa einen Lätsch ziehen und sich ganz offensichtlich langweilen oder sich mit den Menschen in der Box beschäftigen. Als etwa Lenny an den Australian Open 2019 lieber an Papas Trainer Ivan Ljubicic rumfingerte und ihn immer wieder in die Wange kniff, sorgte dies im Stadion für zuckersüsse Unterhaltung – und stahl dem Star auf dem Platz fast die Show. Dieser nahm es gelassen. «Schaut mal, wie ernst der Coach bleibt! Ich liebe das!», sagte er, als er die Szenen auf der Grossleinwand sah.
Für Roger Federer ist das Alleinsein eine grosse Umgewöhnung: Zum ersten Mal überhaupt ist Ehefrau Mirka in Wimbledon nicht mit dabei. Die Bilder der jubelnden, betenden, verzweifelnden und erleichterten Mirka bleiben uns dieses Jahr verwehrt – statt in der Box in London hatte sie ihren letzten Auftritt in der Front Row an der Pariser Fashion Week.
Weil sich die Spieler an den Grand Slams ohnehin abgeschottet in der Bubble zwischen Platz und Hotel bewegen, hat sich Ehepaar Federer dazu entschieden, vorerst getrennt zu sein. «Mein Gedanke mit Mirka war, Wimbledon durchzustehen, zu sehen, wie sich das anfühlt und wie es geht, und von da an weiterzuschauen», erklärt Roger. Er rechnet allerdings eher weniger damit, dass seine Familie an den Olympischen Spielen in Tokio wird dabei sein können.
«Vier Kinder zu haben und in einer Bubble zu sein, funktioniert für mich nicht wirklich»
Roger Federer
Für ihn persönlich sei es kein Problem, zwei Wochen in der Bubble zu sein, zwischen Hotel und Club hin- und herzureisen, erzählte er bereits an den French Open. «Aber vier Kinder zu haben und in einer Bubble zu sein, funktioniert für mich nicht wirklich.»
Bereits in Paris suchte der 20-fache Grand-Slam-Sieger deshalb nach Strategien, um sich abzulenken. «Immerhin telefonieren wir täglich», versuchte er sich zu freuen. Vergleichbar mit anderen Jahren sind die Turniereinsätze deswegen noch lange nicht. «Es ist schon sehr viel weniger Familie als sonst», stellte Federer traurig fest. «Aber daran darf ich jetzt nicht ständig denken.»