Wer den Film «Boogie Nights» gesehen hat, der weiss Bescheid. Da kopuliert und kokst sich Dirk Diggler durchs Kalifornien der Siebziger, basierend auf dem Leben der Pornolegende John Holmes, auch John Fallus oder Big John genannt. Eben dieser trug besagten Balken unter der überreizten Nase, so prägnant wie ein gewisses anderes Körperteil. Wie der Bart des Mannes, so sein Johannes, möchte man murmeln und dem prallen Schnauz Schwellkörper fürs männliche Ego zuschreiben. Luke Day, Fashion Director der britischen GQ und optisch fleischgewordener Gigolo, trägt seinen Schnurrbart mit Stolz: «Der hypermaskuline, supersexualisierte Vibe, den er einem verleiht … Er lässt jeden sexy aussehen. Es ist das beste Accessoire», so Day laut Guardian. Und der muss es von Berufs wegen ja wissen. Ein Trend-Tool, das alle ganz wuschig macht, ist er also, der Schnauzer.
So richtig zugeben will das erst mal keiner. Während Justin Bieber seinen Schnurrbart liebevoll «Ricardo, the Mustashio» nannte, ihn medienwirksam mit den Worten «My Stash My Life Deal With It Haha» («Mein Schnauz, mein Leben, komm damit klar. Haha») verteidigte als ginge es um sein Leben und ihn instrumentalisierte, um sich zottelig-trotzig vom Posterboy-Image reinzuwaschen, nutzte Schauspieler Timothée Chalamet seinen Oberlippenflaum, um klarzumachen, dass er die Pubertät doch langsam hinter sich gelassen hat. Call me by my Stash, quasi. Und dann … fuhr Harry Styles in die Ferien. Mit Schnauz. Schnappatmung.
Mit Schnauz kann man alles sein – von Rebell bis Super Mario
Auch Harry Styles folgt weniger einem Trend als einer fast zehnjährigen Sehnsucht. Das weiss man, wenn man bereit ist, lange in seinem Twitterfeed zu scrollen. Wozu sind Hardcore-Fans da? Bereits im Juni 2011 twitterte der Sänger:
«I’ve decided that i want a mustache…But not like a cool guy mustache..i mean like a Mario mustache :{ »
(«Ich habe mich dazu entschieden, dass ich einen Schnauz möchte ... Aber keinen Cooler-Typ-Schnauz... Ich meine eher so einen wie Mario :{ »)
Aber ... auch wenn Harry nun einem molligen Nintendo-Italiener nacheifert – ganz zufällig ist es nicht, dass die Schmachtbuben Bieber, Chalamet und Styles, die Frauen in einer Altersrange von 40 Jahren um den Verstand bringen, alle im Jahre 2020 den Rasierer niederlegen. Ein bisschen cool muss es doch sein, ihn zu tragen.
Der Schnurrbart ist dabei so herrlich vielseitig konnotiert. Lassen wir mal die Assoziationen zu Diktatoren und Unmenschen wie Stalin, Pinochet und Hitler beiseite, dann ist dieses wohlplatzierte Büschel Haare herrlich retro: Vom viktorianischen Adel über den modernen Dandy bis hin zum Cowboy und besagtem 70s-Pornostar geht da einiges. In den Zwanzigern galt der Schnauz gar als Zeichen der Rebellion und Freiheit. Wer nach dem ersten Weltkrieg so bewachsen heimkehrte, spielte kritisch auf den Umstand an, dass Gesichtsbehaarung die Gasmasken in ihrer Funktion beeinträchtigten. Ein Mann mit Schnauz, der strahlt was aus, der achtet auf sich.
Mit Schnauz-Trägern will man ins Bett
Wie bitte, werden nun die empört sagen, die Justin Bieber mit Ricardo noch ekliger fanden als eh schon. Aus unerfindlichen Gründen nämlich hat die Rotzbremse (ihr merkt was?) immer auch ein bisschen was von schmuddeligem Stalker. Vor allem in Kombination mit braun-gelblicher 70s-Brille. Dabei setzt so ein Schnauz doch Pflege und Instandhaltung der Kontur voraus, während der (vermeintlich heisse Hipster-) Vollbart nur ein mit Haaren vollgekleistertes Gesicht ist. Ja, am Outlaw-Schnauz scheiden sich Geister und Geschmäcker. Dabei ist seine enorme Anziehungskraft wissenschaftlich belegt: An der University of Queensland hat man vor einigen Jahren an dessen Attraktivität herumgeforscht und konnte belegen, dass Männer mit einem kurzen und langen Stoppelbart bei der Frage nach einem One Night Stand alle andere abhängten. Ha! Für die Forscher und uns hier in der Redaktion belegt dieses Ergebnis, dass eine (ok, ok) dezent ungepflegte Optik dermassen gut bei Frauen ankommt, dass sie sich das Abenteuer schlicht nicht entgehen lassen können. Wer mehr als nur Spass sucht, stöbert nach anders frisierten Gesichtern.
So macht uns der Schnauzer vielleicht deswegen so kirre, weil man unterbewusst eine heisse Nacht darunter wittert. So ein Schnauz ist leger, nonchalant dahingewachsen, irgendwie mutig. Der signalisiert uns, dass sein Träger sich nicht um die Meinung anderer schert. Dass er modisch ist. Dass er auf sein Äusseres achtet, ohne dass er sich die Augenbrauen zupfen oder das Haar zer-gelen muss, um das deutlich zu machen. Der Schnurrbart-Boy ist stets etwas derangiert. Man denkt, man könne da was zähmen. Oder ein Stück wildes Leben abhaben. Ja, der Schnauz ist ein Verführer, die Schlampe unter den Bärten.