Einladungen zu Fashion Shows flattern nicht mehr herein wie exklusive Brieftauben, sie kommen pragmatisch per Link mit einem kurzen Bling. Trotz der kühlen Elektrifizierung der sonst so körperbetonten Events geht an Staunen, Schimmern und Spekulieren wenig verloren. Gerade zündete das italienische Modehaus Valentino ein Meisterwerk der Performancekunst, geschaffen von Valentino-Couturier Pierpaolo Piccioli und Massive-Attack-Gründer und Künstler Robert Del Naja. Unter dem Titel «Code Temporal» stolzierten die Models durch die Galleria Colonna im Palazzo einer römischen Familie, aus deren Reihen ein Papst hervorgegangen ist. Aristokratie mit göttlichem Anspruch quasi. So entsprang der Hand des Schöpfers eine gar zeremonielle Kollektion, angereichert mit Farbexplosionen in Limonengrün und Fuchsia, einer guten Prise Glitzer und: wuchtigen Plateauschuhen. Sohlen höher als eine Hand breit, Absätze so dimensioniert wie die Füsse der Models lang.
Entzaubert ein goldener Klumpfuss die Haute Couture?
Als bis zum Oberschenkel reichende Stiefel, als Pumps mit Fesselriemchen, wahlweise mit Pfennig- oder mit Keilabsatz komplettierten sie die so exquisite Königsdisziplin der Schneiderkunst und liessen sie ein bisschen ... ja, schwerfällig wirken. Verstörend? Überirdisch? Zwangsläufig drängt sich einem die bizarre Lady Gaga auf, die McQueens knollige «Amarillo Platforms», Schuhe wie Gürteltiere, zu ihrer Uniform machte und wild tanzend die öde Popwelt der 2000er niederstampfte. Seit Monaten nun schon hat sich das Unheil in Form einer Pandemie über der Welt zusammengebraut. Jetzt ist es am Boden angekommen. Wir sind am Boden. Und Valentino scheint gerüstet zu sein.
Dicke Sohlen = dicke Haut
Mode reflektiert und kommentiert rückläufige Tendenzen ebenso wie den Aufschwung der Gesellschaft. Das tat sie schon immer. Sind die Konjunkturaussichten bestens, dann rutscht der Rocksaum nach oben. So war es und so ist es und so wird es immer sein. «Rocksaumtheorie» nennt sich das ganz offiziell und wurde vom amerikanischen Wirtschaftler George Taylor 1926 so beschlossen. Läufts gut, wirds also sexy. Geht alles den Bach runter, legt man sich den Panzer an – trägt wallende Kleider und Hochgeschlossenes. Und Absätze, bei deren Anblick einem fast schwindelig wird? «Die Absätze wurden während der Weltwirtschaftskrise in den 1930er-Jahren, der Ölkrise in den 1970er-Jahren und dem Platzen der Dotcom-Blase in den 2000er-Jahren deutlich höher», so Elizabeth Semmelhack, Autorin der Publikation «Heights of Fashion: A History of the Elevated Shoe» im Jahre 2010 zu CNN. Wir haben Angst, wenig soziale Kontakt und gesundheitlich gerät das Leben ausserdem ins Stottern.
Ein schwerer Mix aus Eskapsimus und Risikobereitschaft
Mit Valentinos Plateausohlen schwebt man weit über dem Boden der Tatsachen. Und entflieht so der gerade oft zu harten Realität. Das schimmernde Schuhwerk ist einerseits ausserirdisches Kostümieren, ein Ausbrechen in eine märchenhafte Gaga-Welt und andererseits eine Art Rüstung, in der man jederzeit in der Lage ist, zuzutreten. So ist es kaum verwunderlich, dass Valentinos Kreativchef Pierpaolo Piccioli sich am Ende der Show in einer schwarzen Schutzweste zum Soundtrack von Massive Attack leise verneigte. Am Liebsten würde man die Welt doch einfach kurz mal ausschalten. Oder wenigstens pausieren.
Nun ist das Tragen von überdimensionalen Sohlen aber keineswegs nur ein müdes Einigeln. Wer Plateau am Fuss stecken hat, der traut sich was. Der macht sich gross und geht das Risiko ein, zu fallen. Über all dem glitzernden Luxus unter den römischen Kronleuchtern möchte Valentino uns vielleicht auch einfach nur zuflüstern: Ihr müsst da jetzt durch. Kopf hoch! Macht das Beste draus, schwelgt in märchenhafter Couture, aber bleibt stark – und tragt Plateau.
All die Models mit den verstauchten Knöcheln können davon schliesslich ein Lied singen. Die sind nämlich meist lächelnd wieder aufgestanden. Alles wird gut. Und in diesem Sinne: Das Leben ist kein Ponyhof, es ist ein Runway.