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  4. Fashion Weeks und Corona: Von Digitalisierung, Filmen und neuen Chancen
Ihr fragt euch sicher alle längst:

Was passiert jetzt mit den Fashion Weeks?

Heute endet die Haute Couture Fashion Week. Was mal in Paris zu Hause war, findet jetzt im Internet statt. Inzwischen winkt der Modemonat September hektisch mit Events in New York, London, Mailand und Paris, die sich ins Gehirn der Käufer brennen sollen. Aber wie? Nichts schlägt die Magie des Runways. Von «phygitalen» Covid-Strategien, Chancen und ... Booten.

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PARIS, FRANCE - JULY 05: General view of Cindy Bruna and models posing, during the "Balmain Sur Seine" Performance, on a barge on the Seine river, on July 05, 2020 in Paris, France. (Photo by Edward Berthelot/Getty Images) (Photo by Edward Berthelot/Getty Images)

Couture by «Balmain sur Seine».

Getty Images

Am Montag schipperte ein Boot über die Seine. Am Eiffelturm vorbei, unter historischen Brücken hindurch, staunende Pariser passierend. Geladen hatte das Schiff Haute Couture aus dem Hause Balmain – Entwürfe aus dem Archiv Pierre Balmains und frische Couture-Ware des aktuellen Kreativchefs Olivier Rousteing. Das Boot als Bühne, mit zwölf Models auf reflektierenden Spiegelplattformen für den Glamour-Faktor immerhin. Eingeladen war keiner. Gesehen hat die sonst so exklusive Couture-Show der, der zufällig da war. Oder Instagram geöffnet hatte. Sieht es exakt so aus, wenn die Mode buchstäblich den Bach runtergeht? Ist das die Zukunft der Fashion Weeks, wo sich normalerweise ein dünnes, auserkorenes Editor- und Influencer-Bein andächtig vorm Laufsteg ans andere drängt?

Die Welt kämpft mit einer Pandemie, sie distanziert sich und affektierte Küsschen können nur noch von Weitem oder über den Bildschirm zugeworfen werden. Dabei ist die Mode eine Branche, die von Emotionen, Inszenierung und unvergesslichen Geschehnissen lebt. Man denke an Versace und sein ikonisches Nineties-Supermodel-Aufgebot und die alterslose Jennifer Lopez. Das bleibt hängen. Was passiert, wenn Philipp Plein keine Achterbahnen mehr aufbauen darf? OMG. 
Haute Couture, als Meisterklasse der Schneiderkunst, will mit der Lupe betrachtet werden. Kleider wollen angefasst werden. Die Mode muss mitschwimmen im Meer der Bakterien und sich im tosenden Sturm über Wasser halten. Schliesslich müssen Ideen und Visionen irgendwie kommuniziert und irgendwann verkauft werden.

Die erste phygitale Fashion Week

Die Digital Fashion Week läuft. Offiziell in Paris, aber tatsächlich auf dem Screen. Seit dem 6. bis zum 13. Juli, gefolgt von der Milano Fashion Digital Week von 14. bis 17. Juli. Gucci wird zum Abschluss derer am 17. Juli seinen virtuellen «Epilogue» aufführen – die Men’s und Women’s Resort Collection für 2021, die ursprünglich für den 18. Mai in San Francisco geplant war. Der Epilog als etwas, das man verfasst, um ein Werk zum Abschluss zu bringen, manifestiert sich als Zwölf-Stunden-Live-Meilenstein, da Kreativdirektor Alessandro Michele damit den Modekalender über den Haufen werfen und nur noch zwei Kollektionen statt der üblichen fünf zeigen will. 

Was in Paris unter die digitale Woche fällt, ist die Haute Couture und die SS21 Men’s Fashion Week, die eigentlich vom 23. bis 28. Juni hätte stattfinden sollen. Brands können so über Social-Media-Panels, virtuelle Showroom-Termine oder digitale Live-Runway-Präsentationen ihre kreativen Ergüsse ins hungrige Mode-Universum schicken. Während Balmain physisch auf der Seine präsentierte, aber digital an die Kunden sendete, und damit auf einen schüchternen «phygitalen» Hybrid setzte, zeigte Chanel die neue Couture-Opulenz ganz nüchtern – nur auf dem Bildschirm.

Maria Grazia Chiuri, Kreativdirektorin von Dior wiederum, nahm die Herausforderung an, indem sie Entwürfe auf massstabsgetreuen Miniatur-Puppen anfertigte, die, in einem Koffer präsentiert, an die Couture-Kund*innen geschickt wurden. «Digital ist wichtig, aber gleichzeitig gibt es handwerkliche Arbeit und Details, die man in einem Video oder Foto nicht sehen kann», so Chiuri zur Vogue. Zusammen mit Regisseur Matteo Garron träumte sie das Haute-Couture-Märchen weiter und so entstand ein bezaubernder Film voller Magie – eine Hommage an das Théatre de la Mode, eine Wanderausstellung aus dem Jahre 1945 mit eben diesen Miniatur-Schaufensterpuppen. Die digitale Fashion Week fordert heraus. «Sie ist kein Ersatz, es ist etwas Neues», erklärt Pascal Morand, President der Fédération de la Haute Couture et de la Mode.

«September-Regen kurz und klar, verheisst ein gutes, nächstes Jahr»

... besagt eine Bauernregel. Ja, was passiert denn nun im September? Häuser wie Louis Vuitton, Loewe, Dior Homme, Dries Van Noten, Berluti, Hermès und Lanvin werden jetzt während der Paris Digital Men’s Week zeigen. Auf Givenchy, Acne Studios, und Valentino wird man vergeblich warten. Während Givenchy gerade erst einen neuen Kreativdirektor einarbeitet, hat sich Valentino dazu entschieden, die Herrenkollektion mit der Women’s Wear im September zu zeigen. Das heisst: Dann gehts wieder rund. Da darf aufgefahren werden. Oder ...?

Während die Frühling-/Sommer-Präsentationen in New York auf ein dreitägiges, digitales Event beschnitten wurden, haben die Organisationen in Paris und Mailand die Rückkehr der Shows in Fleisch und Blut zugesichert. Burberry hat für London bereits ein phygitales Event im Grünen angemeldet. Man möchte die Reinheit und Einfachheit der Natur feiern. Anwesend sein werden nur die Models und das Burberry-Team – und der Rest der Welt per Streaming-App. Virgil Abloh dagegen pausiert mit Off-White bis Januar 2021, Dries van Noten bis Februar 2021. Saint Laurent unter Anthony Vaccarello nimmt sich Zeit, einen neuen Plan auszuarbeiten.

Es sind gerade italienische Brands, die ihre glorreiche Wiederauferstehung planen. Fendi in Rom und Dolce & Gabbana in Florenz. Haben die nix gelernt, kann man sich jetzt fragen. Fällt denen denn nix Neues ein? Denn so schwer die Umstellung auch sein mag: Mit Modewochen innovative Wege zu beschreiten, nimmt glamourösen Fashion Shows den Elite-Charakter und macht sie so einem neuen Publikum zugänglich. Der Produktionsaufwand schien in Zeiten zunehmender Achtsamkeit und bewusster Emissionsreduktion doch eh vollkommen aus der Zeit gefallen.

Von lei am 8. Juli 2020 - 17:59 Uhr