Ihr Atelier im Zürcher Kreis 5 liegt versteckt. In einer Werkstatt für Siebdruck, zwischen Service-Anlage und Stadtpark. Von der Naturfarbenmanufaktur keine Spur. Doch dann steigt man eine Aussentreppe 19 Stufen in die Höhe und entdeckt auf der Plattform vor dem Eingang mehrere Töpfe: Färber-Wau für Gelb. Indigopflanze für Blau. Krappwurzel für Rot. «Traditionelle Färberpflanzen, die sich seit dem Mittelalter etabliert haben», erklärt Jennifer Grunder. Gekleidet in Weiss, begegnet sie uns zum Gespräch über Farben. 2014 gründete sie ihr Label Nou. Die Idee? Naturfarbe herstellen, damit Produkte veredeln, anderen ihr Wissen in Workshops vermitteln.
Den Einstieg in ihre heutige Arbeitsrealität fand sie mit einer Abschlussarbeit an der Zürcher Hochschule der Künste. Jennifer Grunder sammelte alte Objekte auf dem Schrottplatz, wickelte diese in Stoff und wartete, bis der Rost einen Abdruck hinterliess. Altes wird gewürdigt, Wertigkeit bleibt bestehen – Wabi-Sabi, ein ästhetisches Prinzip aus Japan. «Diese Denkart inspirierte mich, und ich führte sie mit Pflanzen weiter.»
«Ich schmeisse alles in einen Topf, giesse Wasser hinein, und dann heisst es: kochen!»
Ein «Bluememeitschi» war Grunder schon immer. Ihre Herkunft ist hörbar. Ihr «Sammler-Gen» sichtbar. In einem Regal türmen sich auf drei Ablageflächen verteilt Blüten, Knollen, Knospen, Blätter, Schalen und Pulver. Alle in verschlossenen Behältern, die meisten gleichzeitig mit Erinnerungen gefüllt: «Diese Knospen habe ich im Berner Lorrainequartier gefunden. Ah, und die Galläpfel hier stammen von einer Eiche aus Italien.»
Findet Jennifer Grunder neues Material, wird sie ungeduldig. So rasch wie möglich will sie ins Atelier. Dort startet der Prozess mit einer Extraktion: «Pflanzenfarbstoffe sind wasserlöslich. Ich schmeisse alles in einen Topf, giesse Wasser hinein, und dann heisst es: kochen!» Die Siededauer variiert je nach Rohstoff. Holz oder Knospen brauchen circa drei Tage. Abwechslungsweise werden sie eine Stunde gesotten, über Nacht abgekühlt und wieder gesotten. Bei Blüten reichen zwanzig Minuten. Je dünner das Material, desto kürzer die Dauer. Entspricht der Sud ihrer Vorstellung, wird er stabilisiert und gebunden.
«Farbe herzustellen, beflügelt die Sinne. Auch über das Visuelle hinaus», sagt Grunder. Man spürt sie beim Druck oder riecht sie beim Kochen. Blauholz duftet herb und holzig. Malven erinnern an Kräuterpastillen. «Eigentlich hinterlässt jeder Rohstoff eine angenehme Note», findet sie, aber präzisiert schnell: «Abgesehen vom Färber-Wau, der stinkt nach Urin.» Ihre Lieblingsfarbe riecht erdig. Die Krappwurzel bietet Töne von Orange bis Violett. Besonders gefällt ihr die Farbe pur – in Altrosa. Damit ziert die Textilgestalterin auch ihre neuste Sockenkollektion. Eine Auflage von fünfzig Stück. Alle von Hand bedruckt.
Mit Socken startete sie damals ihr Business: «Ich fand, man müsse an den Füssen modisch etwas Gas geben.» Umweltfreundliches Bunt auf Schweizer Strick. Träger hinterlassen darin wortwörtlich einen ökologischen Fussabdruck. Synthetische Farben sind nicht abbaubar, ihr Herstellungsprozess verunreinigt die Gewässer. Weiter begünstigen sie Ausschläge. Die Naturvariante hingegen schont die Haut. Wird die Farbe aus Heilpflanzen gewonnen, kann sie sogar pflegen.
Der Preis liegt bei 38 Franken das Sockenpaar. Ein gerechtfertigter Wert. Grunder fördert mit ihrer Arbeit die Kostbarkeit von Farbe und will Leuten das Verständnis für nachhaltigen und fairen Konsum einprägen: «Viele wählen beim Einkauf bewusst ein Material, aber unbewusst eine giftige Laborfarbe. Das muss sich ändern.»