Eine simple Mail-Anfrage besteht aus fünf Komponenten: Betreff, Begrüssung, Einleitung, Frage, Verabschiedungsformel. Bei 126 Zeichen und minimalem Aufwand genügen dafür knappe 31 Sekunden. Je nach Anlass und Anliegen dauert der Vorgang womöglich länger. Und mit hohem Perfektionsanspruch ziemlich sicher eine Weile.
Perfektionismus angewandt auf ein Mail, bedeutet das Geschriebene Zeile für Zeile akribisch zu inspizieren. Jeder Satz wird veredelt. Jeder Punkt geprüft. Jedes Komma hinterfragt. Wann der Sende-Button zum Einsatz kommt? Sobald alle Zeichen gefühlt so aneinander kleben, als kämen sie anschliessend gedruckt vor grosses Publikum. Ein perfektes Mail – kein perfektes Vorgehen! Zumindest wenn der Aufwand im Vergleich zum Ertrag deutlich überwiegt.
Perfektionismus als Problem
Wird Perfektionismus zur Qual, spricht man von dysfunktionalem Perfektionismus. Coach und Autor Attila Albert hat diesen in seinem neuen Buch «Perfektionismus ist ein Arschloch» ergründet und daraus ein Nachschlagewerk für die Praxis verfasst. Der Experte erklärt, worin sich Perfektionismus von Ehrgeiz unterscheidet: «Wer ehrgeizig ist, nimmt sich in entscheidenden Situationen vor, sein Bestes zu geben. Das gelingt nicht immer, macht aber besser und motiviert. Wer perfektionistisch ist, hält das Beste für etwas, das immer erreicht werden muss. Das ist unmöglich, frustriert und erschöpft.»
Vor allem wenn der Perfektionismus von negativen Motiven wie Angst, Kritik oder Blamage getrieben sei, werde sie zur Last. Wer immer und überall 150 Prozent von sich erwarte, verausgabe sich und könne auf Dauer nichts mehr richtig erledigen. «Für die meisten Aufgaben genügt solider Durchschnitt. Perfektionismus sollte man sich für wenige ausgewählte Vorhaben aufsparen, die langfristig wirklich bedeutsam sind», rät Albert.
Was hilft im Alltag gegen Perfektionismus?
Zeit, Geld und Energie sind begrenzt. Generell gilt deshalb, die Vorhaben einzuschätzen: Wo ist Perfektion machbar und sinnvoll, wo nicht? Ein Hinweis vom Experten: «Im Alltag ist meist nur entscheidend, überhaupt etwas abzuliefern, das seinen Zweck erfüllt.» Weiter empfiehlt Attila Albert folgendes zu beachten:
1) Mindestkriterien setzen
Legt für jede Aufgabe konkrete Mindestkriterien fest, mit denen das Ergebnis bereits gut genug wäre. Beispiel-Kriterien für eine Präsentation: Akzeptable Bilder wählen (auch wenn es viel bessere gäbe) und zweimal korrekturlesen.
2) Prioritätenliste statt To-do-Liste erstellen
Wechselt von To-do-Listen zu Prioritätenlisten. Was zuoberst steht, ist wichtig und soll möglichst perfekt gelingen. Je weiter unten sich eine Aufgabe befindest, desto gelassener könnt ihr sie angehen oder ohne schlechtes Gewissen sogar wieder vergessen.
3) Einen Drittel des Tages nicht verplanen
Lasst einen Drittel des Kalenders tagsüber unverplant. Wenn möglich sollten zwischen Terminen 30 freie Minuten liegen. Das verschafft einen dankbaren Puffer. Kurzfristige Gespräche beim Chef, Arztbesuche des Kindes oder beispielsweise Stau bringen eure Tagesplanung dadurch weniger in Gefahr.
4) Kontakte gewichten
Ordnet eure Kontakte. Wem wollt ihr viel Aufmerksamkeit widmen? Wen wollt ihr einfach regelmässig sehen? Notiert für beides jeweils 3 bis 5 Personen. Ergänzt die Liste mit Namen, die ihr nur noch gelegentlich oder gar nicht mehr sehen wollt. Die Liste hilft euch, Treffen einfacher zu priorisieren.
5) Aufgaben streichen
Überlegt fortlaufend, welche Vorhaben und Aufgaben ihr ersatzlos streichen könnt. Gerade im Job schleichen sich viele Zusatzaufgaben ein. Aber auch privat kommt die eine oder andere Tätigkeit hinzu, die es möglicherweise nicht braucht. Streicht ein- bis zweimal im Jahr bewusst alles, was sich als unwichtig erweist.