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Dating-Dilemma

Leidet Generation-Tinder an Bindungsunfähigkeit?

Die gute Nachricht vorweg: Hoffnung, sich irgendwann ernsthaft an einen Menschen zu binden, besteht auch für Generation-Tinder. Warum trotzdem viele glauben, keine Beziehung eingehen zu können? Wir haben Paar- und Sexualberaterin Bettina Disler um Auskunft gebeten.  

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Zwei küssende Menschen hinter einer Tür

«Binden oder nicht binden, das ist hier die Frage», würde Shakespeare heute vielleicht schreiben. 

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Mittlerweile wird sogar aus dem Single-Sein ein kommerzielles Event gemacht: 2009 hat die chinesische Online-Plattform Alibaba den 11. November zum Singles Day ernannt. Ein Äquivalent zu Black Friday und Cyber Monday. Mit anderen Worten: Ein Rabatt-Paradies für Konsumwillige. Wer am Singles Day seine Unabhängigkeit zelebrieren will, schenkt sich selbst zum Beispiel ein Buch von Orell Füssli – dort gibts 20 Prozent. Eher in Frust-Shopping-Laune, weil man sich immer noch nicht binden kann oder will oder vielleicht soll? Dann bitte: ebenfalls zuschlagen.

Bevor wir Kummer aber mit hübschen Dingen verdrängen: Wieso können oder wollen oder vielleicht sollen wir uns den eigentlich nicht binden? Dieser Frage hat Autor Michael Nast ganze 240 Seiten gewidmet. Die einzelnen Kapitel in «Generation Beziehungsunfähigkeit» tragen Titel wie «Wovon wir reden, wenn wir von Liebe reden», «Tut mir leid, wenn ich eure Erwartungen nicht erfülle – aber meine sind mir wichtiger», «In der StayFriends-Welt». Im Gespräch mit dem Magazin Spiegel vergleicht Nast Dating-Apps mit Online-Shops.

Abstraktes Kussbild

Liebe ist: irgendwie abstrakt. 

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Wir würden uns heutzutage in der Liebe wie Kunden benehmen: «Wir vergessen, dass Menschen keine Produkte sind, die bald in einer besseren Version erhältlich sind.»

Haben wir wahre Liebe kaputt getindert?

Die erste Hürde liege darin, sich überhaupt zu verlieben, sagt Paar- und Sexualberaterin Bettina Disler. Verlieben wir uns, schüttet der Körper das Glückshormon Dopamin aus. «Regelmässiges Daten führt zur Gewohnheit und das wiederum mindert die Spannung – der Dopamin-Kick bleibt aus.»

Empfänden wir eine Begegnung als spannend und fühlten uns verliebt, hätte sich diese Phase dennoch irgendwann erschöpft. Sind Tinder-User somit zum ewigen Single-Sein verdammt? Nein: «Alle Menschen können Bindungsfähigkeit lernen», fährt Bettina Disler fort. Mit jeder Begegnung entscheiden wir uns, was wir vom Gegenüber adaptieren wollten.

Hätten wir einen potenziellen bindungserfahrenen Partner, bestehe eine gute Chance, von diesem das Binden zu lernen. Schwieriger werde es, wenn beide weniger Bereitschaft zeigten, das Dating-Leben für eine feste Beziehung aufzugeben.

Neue Definition von Bindung 

Entscheiden sich Menschen für eine gemeinsame Beziehung, bedeutet das heute nicht zwanghaft, dass diese Bindung Treffen mit anderen ausschliesst. Auf das Panoptikum der modernen Beziehungsmodelle bezogen erklärt Bettina Disler: «Vermehrt sind Personen bereit, offene und polyamouröse Beziehungen einzugehen. Schlussendlich muss jeder Mensch eine für sich geeignete Bindungsform finden.»

An alle Gebundenen: Welche Form von Beziehung führt ihr? An alle Singles: Happy Singles Day!

Von Vanessa Vodermayer am 11. November 2020 - 09:13 Uhr